Ein Interview mit Dipl. Psych. Birgit Papendorf
Wie kam es dazu, dass Sie zu diesem erstmal “sperrig” klingenden Thema Seminare geben?
Ja, das war auch damals so mein erster Gedanke: Oh Gott! *lacht* Und dann war ich völlig überrascht, dass die Erkenntnisse über das Gehirn auf unterschiedlichen wissenschaftlichen Ebenen erforscht worden sind: Einmal die reine anatomische aber auch die chemische Ebene, bei der es viel darum geht, welche Nervenbotenstoffe wie welche "Schleusen" zu anderen Nervenzellen öffnen. Die große Überraschung war dann tatsächlich, dass Hirnforscher, die zunächst rein biologisch (...) im Hirn die Chemie erforschten, die Bedeutung ihrer Erkenntnisse erkannten: und zwar, dass diese weit über die physiologischen Abläufe hinausreichen. Sie machten deutlich, dass unser Gehirn sozusagen ein “Protokoll unseres Lebens” (...) ist.
Das Gehirn speichert also offensichtlich nicht nur Wissen ab, sondern auch die Qualität der dabei erlebten Beziehungen (...) Diese Informationen werden durch die Neurotransmitter, die Nerven Botenstoffe, abgebildet.
(...) Das machte mich dann auch sehr neugierig auf die Veröffentlichungen der Hirnforscher, die sich auf dieser Spur dann immer weiter spezialisiert haben und bahnbrechende Bücher geschrieben, wie zum Beispiel “Die Biologie der Angst” von Gerald Hüther. Das war das erste Buch, was ich in die Hände bekommen habe für eine Fortbildung. (...) Und als ich selber (...)damit in Kontakt kam, mit diesem Wissen, da dachte ich gleich “Mensch, das muss doch irgendwie ein bisschen breiter eingearbeitet werden in meine eigenen Seminare.” Das war ja nicht nur etwas Neues, sondern bot auch einen ganz anderen Blick auf uns als Persönlichkeiten. Also habe ich mich dazu entschieden, diese Seminarreihe zunächst als einzelne Seminare aufzulegen. Das erste Seminar zum Thema Hirnforschung hatte den Titel “Das Gehirn ist ein Garten”, weil das Gehirn genauso "beackert" wird, wie wir selber unseren eigenen Garten pflegen würden.
Das ist ein schöner Vergleich! Wieso ist das Thema denn überhaupt interessant und relevant für pädagogische Fachkräfte?
Genau aus dem Grunde weil unser Gehirn, neben allen anderen Fähigkeiten oder Eigenschaften, die es hat, ein großes Beziehungsorgan ist. Es ist der Bereich, wo wir nicht nur das abspeichern, was wir uns über die Welt erschlossen haben und mit dem vorhandenen Wissen abgleichen, sondern dazu auch immer die Beziehungsqualität. Also das, was wir mit den Menschen, die dabei sind, erleben speichern wir mit ab. (...) Und da ist das schon interessant und auch sinnvoll zu wissen, dass die Beziehungsqualität eine sehr große Rolle spielt, sogar vor allen Dingen eine umso größere, je jünger die Kinder sind. Das ist natürlich besonders in der Pädagogik wichtig.
Haben Sie ein Beispiel für spannende Erkenntnisse?
Ja vielleicht eins, was ein echter "Hammer" immer ist - Ich hab das gestern gerade zufällig wieder entdeckt: Ein kleines Mädchen, die heute eine erwachsene Frau ist, hatte nur eine Hirnhälfte, da die zweite herausoperiert wurde, weil sie dort eine schwere Entzündung hatte. (...). Das Mädchen war damals drei Jahre alt, als diese OP gemacht wurde und im Alter von 7 Jahren wurde dann ein Röntgenbild angefertigt, wo diese halbe Hirnhälfte natürlich immer noch fehlte. Diese war nicht nachgewachsen, aber das Mädchen führte ein völlig unauffälliges und sogar sehr schönes Kinderleben. Sie konnte drei Sprachen (Englisch, Holländisch und Deutsch) fließend und niemand, der sie im Alltag erlebte, wäre auf die Idee gekommen, dass dieses Mädchen nur ein halbes Hirn hatte. Das sorgte in der Fachwelt für unglaubliche Verblüffung.
Das Beispiel zeigt: es kommt im Gehirn nicht auf die Masse der Nervenzellen an und auch nicht auf das Volumen des Gehirns, sondern einzig und allein darauf, dass wir eine menschenfreundliche Umgebung, geprägt von liebevollen und wertschätzenden Beziehungen, vorfinden. (...)
Welche Unterschiede gibt es zwischen Kindern und Erwachsenen?
Als Kinder, ist für uns alles zunächst komplett neu. Wir erleben Vieles immer zum allerersten Mal, während wir als Erwachsene eben auf ganz viel Bekanntes zurückgreifen. Da kommen wir dann nicht in so einen Freudenrausch wie Kleinkinder, sondern nehmen es eher nüchtern zur Kenntnis - aber diese überschwänglichen Gefühlsräusche, zu denen wir eher als kleine Kinder fähig sind, die entfallen. (...) Kinder müssen sehr viel lernen und lernen zunächst auch mit einer unglaublichen Neugier alles, was ihnen irgendwie "vor die Sinne kommt" - alles, was sie berühren, sehen, hören, schmecken und betasten können. All diese Erfahrungen werden bei Kindern, aber auch bei uns als Erwachsenen, in Netzwerken abgespeichert und jede Sachinformation eines Reizes wird zusammen mit der "Gefühls-Tönung", die wir dabei erleben, weitergegeben. Es gibt dafür Nervenbotenstoffe, ich nenne sie immer "Wohlfühl-Neurotransmitter", die sind auch recht bekannt wie Dopamin (Neugierde und Bewegungsfreude), Oxytocin (Bindungsfähigkeit und die Sehnsucht nach Bindung) und Endorphine (tiefes Vertrauen in sich, die Welt und die Mitmenschen). Im Gegensatz dazu gibt es die Stress-Neurotransmitter wie Cortisol und Adrenalin, die sind ja recht bekannt Beide. Wenn wir also ein Erlebnis haben, was uns Angst macht, schütten wir die letzten Beiden vermehrt aus. Das führt dazu, dass dann vor allen Dingen die Strukturen (...) für Alarm und Erkennen von Gefahren im Gehirn aktiviert werden (...) Das können Situationen sein, die mir als Kleinkind z.B. ganz unheimlich sind, ich tief erschrecke (...) oder wenn ich als Schulkind einer Situation beim Lernen ausgesetzt bin, bei der ich gar nicht weiß, wo hinten und vorne ist und wie ich das machen und anfangen soll. Inhalte, die wir mit diesen Stress- Neurotransmitter abspeichern, werden auch immer wieder mit dieser Angst, die mit der Situation im Zusammenhang erlebt wurde, mit erinnert. (...) Und die Wohlfühl-Neurotransmitter, die bewirken dann, dass wir die Inhalte selbst (...) natürlich auch unter einem nüchternen Aspekt abspeichern. Also zum Beispiel eine Tasse fällt immer nach unten, wenn ich die jetzt runter schmeiße - das ist die Schwerkraft. Aber gleichzeitig mit der Situation, ob es einen riesen Krawall gab, dass ich die Tasse runtergeschmissen habe oder, ob das keine Tasse war, sondern ein Bauklotz und dass es lustig ist das auszuprobieren, wie der immer wieder n
Wie laufen Ihre Seminare in der Regel ab?
Es gibt zwei verschiedene Typen. Einmal ein Grundlagenseminar, eine Einführung in die Arbeitsweise des Gehirns als "Sozialorgan", so wie ich es eben dargestellt habe. Wer da neugierig geworden ist und gerne mehr davon wissen möchte - das sind in der Regel immer recht viele - hat dann die Möglichkeit in drei Aufbautagen vertiefend einzusteigen. Da schauen wir uns (...) noch differenzierter (...) an, was im Grundkurs auch Thema war - erweitert um zusätzliche weitere "Beziehungsfaktoren", die im Gehirn verankert sind, wie die Spiegelneuronen. (...) Weiter gucken wir uns sehr genau nochmal die Faktoren an, die sich im sozialen Leben wiederfinden und zu Erscheinungsbildern wie einem großen Bewegungsdrang und unkonzentriert sein - wie bei ADHS zum Beispiel führen. Und weiter: welche Erlebnisse führen dazu dass Kinder chronisch ängstlich sind oder chronisch sehr schnell aggressiv reagieren? Welche Netzwerke werden da aktiviert, welche Beziehungserfahrungen liegen dem zugrunde, um so für den pädagogischen Alltag sensibilisierter zu sein und zu erkennen und zu stoppen, um (...) ungünstigen Entwicklungsschleifen gar nicht erst chronisch werden zu lassen. Während der Seminare werden viele Fragen gestellt. Ich halte keine Solo Referate, sondern - auch bei den Folien, die ich zeige – trete ich gerne in Dialog mit den Teilnehmenden. Das ist immer ein sehr lebendiger Austausch. Am Schluss merken zwar alle, dass es auch Arbeit in gewissem Sinne war, aber auf jeden Fall überwiegt immer diese Bereicherung wirklich nochmal einen ganz neuen Blickwinkel auf die eigene Berufstätigkeit mitnehmen zu können und auch Bestätigung für Vorgehensweisen bekommen zu haben, die ja im Team manchmal durchaus auch umstritten sind. Aber auch klarer zu sehen, welche professionellen Vorgehensweisen bei welchem Kind vielleicht auch komplett ungünstig wären, weil wir ohne es zu wollen, dessen auffälliges Verhalten noch verstärken würden.
Also um das nochmal zusammenzufassen, es geht darum, einen Schritt raus zu machen, aus dem pädagogischen Arbeitsalltag, um sich anzugucken: wo kommt das überhaupt alles her? Warum haben wir bestimmte Verhaltensweisen und -muster? Warum reagieren Kinder so wie sie reagieren und wie können wir Heranwachsende bestmöglich unterstützen?
Ja, genau!
Dipl. Psych. Birgit Papendorf ist Fachpsychologin Klinische Psychologie, Heilpraktikerin Psychotherapie und Staatl. gepr. Kinderkrankenschwester – also eine echte Expertin auf ihrem Gebiet!
Comments