Ein Interview mit Andree Schinke
Was ist für Dich 'Gesundheit'?
Für mich ist das Thema immer etwas ganz Selbstbestimmtes. Das ist nicht etwas, was von oben verordnet wird, “Ihr müsst jetzt gesund sein” oder man auf Anordnungen oder Geldmittel vom Chef oder vom Träger wartet, sondern das läuft für mich immer über eigene Körperwahrnehmung und die Menschen oder eben auch die Kinder darin zu bestärken, sich wirklich zu spüren. Und sich zu fragen "Was tut mir jetzt gut und was brauche ich jetzt, um mich wohlzufühlen?". Es geht also um das Bewusstwerden und um den persönlichen Zugang zu den eigenen Ressourcen. Die Frager ist nicht „Was macht mich krank?", sondern "Was hält mich gesund?" Das ist für mich immer der Schlüssel für den Zugang, die Eigenverantwortung zu stärken und die eigene Körperwahrnehmung wieder wirklich spürbar zu machen.
Werden Themen wie Stressmanagement und Entspannung oft vernachlässigt?
Wenn man sich umguckt in der Welt, ist unser ganzes Leben sehr schnelllebig geworden. Es geht immer von einem Termin zum nächsten. Das Leben ist völlig durchstrukturiert und es gibt kaum mehr dieses, was früher “La Dolce Vita” genannt wurde , also dieses süße Nichtstun und einfach mal innehalten. Einfach mal auf die Wiese legen und Wolken gucken. Das ist nach meiner Einschätzung immer weniger geworden, dass die Leute sich die Zeit nehmen, einfach mal raus aus diesem Hamsterrad zu kommen, auch wenn da draußen herum alles immer hektischer wird. Da ist jeder auch wieder in der Eigenverantwortung. Wenn ich merke, dass mir etwas nicht gut tut und ich immer am Limit renne, dann sorge ich dafür, dass ich mehr Pausen mache und Ruhe einkehren lasse in meinem Leben.
Das kann ich auch in meinen Berufsalltag integrieren. Wenn es stressige Phasen im Team gibt werden die Kolleg:innen genauso erschöpft sein und dann kann man gemeinsam darauf achten, sich eine Pause zu gönnen und sich etwas Gutes tun, indem man sich nicht so viele stressige Termine auflädt. Und vielleicht sind ja nicht 10 Sachen gleichzeitig dran, sondern wir machen eine Sache und die genießen wir. Danach machen wir weiter.
Ist es vielen nicht bewusst, wie wichtig Gesundheit (auch im Beruf) ist?
Der Körper ist ja so gebaut, dass er erstmal ganz viel wegstecken kann und dann denken wir, wir können damit umgehen, wenn wir Stress haben. Aber irgendwann müssen wir dann doch die Rechnung bezahlen. Das ist quasi Raubbau am eigenen Körper. Wenn wir im “Außen” und im “Innen”nicht gut sind. Das sind einfach Spiegelbilder.
Viele sind sich aber auch dessen bewusst, dass Gesundheit ein ganz wichtiges Thema ist. Es gibt den Spruch "Ohne Gesundheit ist alles andere auch nicht da.” Es geht darum dieses Bewusstsein auch in den Alltag zu integrieren.
Hast Du das Gefühl, dass sich gerade etwas ändert?
Also ich merke dass im Bereich Ernährung viele Menschen bewusster geworden sind. Früher war es häufig so, dass wir das gekauft haben, was am billigsten ist. Und das hat sich, glaube ich, schon verändert. Wir haben im Bezug auf Gesundheit ein steigendes Qualitätsbewusstsein entwickelt.
Was gehört alles zum betrieblichen Gesundheitsmanagement?
Es gab ja immer eine Definition von Gesundheit: “Gesundheit ist die Abwesenheit von Krankheit” und da kann ich nicht so richtig mitgehen. Gesundheit ist für mich eine komplette Lebenseinstellung und ein ganzheitlicher Ansatz. Ich trenne ja auch den Bereich Arbeit und Gesundheit nicht, sondern ich frage erst einmal die Leute ab wie geht's euch da? Was habt ihr selber für Ideen? Was kann man verbessern? Und da kommen immer Vorschläge und ich hab das Gefühl, auch im Beruflichen hat das Thema Gesundheit noch viel mehr Potenzial.
Man muss im Bereich Gesundheit weg von dieser alten Hierarchie, das der/die Chef:in alles entscheidet. In flachen Hierarchien kann sich jeder einbringen und mitbestimmen. Es ist ja quasi jeder einzelne Experte für seine eigene Gesundheit und für ein gesundes Leben am Arbeitsplatz. Brauche ich einen neuen Bürostuhl, möchte ich mehr Zeit drinnen/draußen verbringen oder sollte mehr gelüftet werden? Das sind Kleinigkeiten, die viel bewirken können, wenn alle sich einbringen dürfen.
Also meinst Du, es ist nicht nur Aufgabe der Leitung, sondern jeder muss auch selber sagen “Hey, wir können doch mal..” oder “Ich wünsche mir...”?
Ja. Ich finde es schön, wenn die Leitung ein Klima erschafft, wo ein Vertrauen da ist, dass die Leute sich trauen, ihre Vorschläge auch mit einzubringen. Und dann sorgt man eben gemeinsam dafür, dass das irgendwie gut und gesund für alle möglich ist und jeder jeden Tag gerne zur Arbeit kommt. Und wichtig ist mit den kleinen Schritten anzufangen und diese kleinen Schritte auch zu sehen und zu würdigen. Das kann ein mitgebrachter Salat genauso sein wie ein Lob oder eine Raumdekoration. Und dadurch, dass eine Person anfängt, nimmt eine andere Person es vielleicht wahr und dann zieht es weitere Kreise und verstärkt sich selbst - bis hin zum verbesserten Betriebsklima, was eben auch Teil von Gesundheit am Arbeitsplatz ist.
Was lerne ich konkret in Deinen Seminaren zum Thema Gesundheit?
Es geht eigentlich in allen Seminaren darum, nicht mehr die Verantwortung abzugeben. Es ist oft so, dass man sich unwohl fühlt, aber man nimmt es einfach so hin und sagt sich: “Naja, da muss ich jetzt eben durch.” Da gilt es dann zu schauen wie man die Situation schrittweise verbessern kann. Beispielsweise sind wir mit vielen Kindern in einem Raum und eine Erzieherin braucht mal eine Pause oder ist vielleicht gesundheitlich gerade ein bisschen angeschlagen. Da sollte man eine Kultur schaffen, dass sowas dann auch kommuniziert werden kann und gemeinsam eine Lösung gefunden wird. Ich habe das Gefühl, dass ganz viel auch an der Kommunikation hängt. Und es hat mit Vertrauen zu tun und mit einem Leitbild, das die Menschen verbindet.
Ich glaube, dass diese Betriebs-Atmosphäre und dieses füreinander da sein wirklich auch der Schlüssel dafür ist, dass man gerne zur Arbeit geht und dass der Arbeitsplatz “gesund” ist. Und ich glaube ja immer an diese Vorbildfunktion, also, dass wir sozusagen als Leitung eben nicht alleine dastehen, sondern ein ganzes Team verkörpern und das ganze Team sozusagen vorbildlich dafür da ist, wie auch die Kinder oder die Schüler:innen miteinander umgehen. Natürlich lernen die Teilnehmenden nicht nur durch den Input des Seminarleiters, sondern auch durch den interaktiven Erfahrungsaustausch. Es werden praktische Übungen aufgezeigt, wie es im Alltag gelingt von der weit verbreiteten Defizitorientierung (das war heute schlecht, anstrengend, nervig…) immer mehr hinzukommen zur Schatzsuche (das war heute gut, bestärkend, unterstützend, liebevoll…).
Was ist Dein Gesundheitstipp Nummer 1?
Es braucht wieder den Blick auf das Schöne im Leben! Ich würde versuchen, das, so weit es geht, mit in den Alltag einzubauen und dahin meine Aufmerksamkeit hinzulenken. Wir sollten unseren Traum und unsere Vision hinter unserer Berufswahl bei allem nicht vergessen.
Und abgesehen von gesunder Ernährung und ähnlichem, auch zu schauen, wie schafft man ein liebevolles Betriebsklima. Also was ich glaube, was krank macht, ist diese ganze Mobbing Struktur und diese Feindseligkeiten im Team. Dieses immer in Konkurrenz miteinander zu stehen. Ich glaube nicht daran, dass es die Natur des Menschen ist, dass wir uns bekämpfen, sondern das wir kooperieren, zusammenhalten und füreinander da sind. Das sollte einfach Raum finden. Wir sind ja alle irgendwie miteinander verbunden. Wir kriegen mit, wenn es einem schlecht geht und dann zu gucken was braucht dieser Mensch gerade. Und dass das nicht immer nur die Leitung sein muss, sondern, dass jeder die Verantwortung übernimmt, dass es uns allen gut geht. Wenn es einem schlecht geht, in der Gruppe, dann ist das eigentlich keine gute Gruppe, weil es auch um jeden einzelnen geht und jeder sich wohlfühlen soll. Wenn man darauf achtet, dann ist da gleich eine ganz andere Stimmung. Das finde ich immer ganz schön, dass alle dafür verantwortlich sind und alle den Blick für das große Ganze haben.
Was wünschst du dir im Bezug auf Gesundheit für die Zukunft?
Ich wünsche mir, dass dieses Selbstbestimmungsrecht der Menschen, das wirklich jeder für sich entscheiden kann was gut tut mit Akzeptanz der anderen, gestärkt wird.
Außerdem wünsche ich mir, dass jeder lernt, wieder auf die eigenen Körpersignale zu hören und auf sich zu achten. Es geht nicht um eine Gleichschaltung, dass alle jetzt das Gleiche machen müssen, sondern darum, dass wenn einer aus eigener Wahrnehmung merkt, dass etwas für ihn oder sie selbst gerade nicht gut läuft, er oder sie das sagen kann.
Also insgesamt mehr Akzeptanz für die/den Einzelne*n?
Genau und nicht dieser Gruppenzwang und dass diese Unterschiedlichkeit auch da sein darf und als Reichtum erlebt wird.
Andree Schinke ist Human Design Coach und Erlebnispädagoge. Er gibt Workshops und Seminare zu verschiedenen Themen. Auch im Bereich Gesundheit kennt er sich bestens aus. Er selbst sagt: "Mir geht es darum, persönliche Ressourcen und Potentiale zu erkennen und ihre Entfaltung zu fördern."
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