Ein Interview mit Manfred Patzer-Bönig (LSSH)
Die LSSH (Landesstelle für Suchthilfe Schleswig-Holstein e.V.) versteht sich als überregionale Ansprechpartnerin und Schnittstelle zum Themengebiet „Sucht“ für Mitarbeiter*innen, Profis, Ehrenamt, Institutionen, Betriebe und Träger*innen in Schleswig-Holstein.
Du arbeitest bei der Landesstelle für Suchtfragen. Was ist da dein Aufgabenbereich?
Ich bin verantwortlich für den Bereich Medienabhängigkeit. Ich komme auch aus dem Bereich Suchtprävention und ich habe auch gerne im Bereich Mediensuchtprävention gearbeitet. Wenn man über Medikamente, Cannabis oder Alkohol spricht, erreicht man immer nur einen Teil, weil es eben nicht alle betrifft. Das Thema Medien ist aber immer für alle interessant, da wir alle Medien nutzen. Während meiner Arbeit mit Kindern und Jugendlichen habe ich gemerkt, dass es ganz elementar ist, so früh wie möglich mit der Medienkompetenzförderung anzufangen. Deswegen ist es mein persönliches Ziel, dass wir das frühestmöglich in Schleswig-Holstein implementieren können.
Es wäre wichtig, nicht erst in die weiterführenden Schulen zu gehen, sondern schon in die Grundschulen und am besten sogar in die Kitas. Ich wünsche mir, dass es selbstverständlich wird, dass Medienkompetenzförderung schon im Kitabereich bei den Kleinsten anfängt.
Was bedeutet Medienkompetenz?
Es geht darum, dass Kinder die Fähigkeit entwickeln, mit Medien umzugehen. Um die Medienkompetenz von Kindern und Jugendlichen zu fördern, ist es wichtig, verschiedene Medienphänomene zu betrachten. Außerdem gehört zur Kompetenz auch immer Medienkritik. Zum Beispiel ist es wichtig, zu verstehen, dass hinter den sozialen Netzwerken große Tech-Konzerne stecken, die mit uns Geld verdienen wollen und nicht nur dazu da sind, uns zu unterhalten und zu belustigen. Die Netzwerke sind außerdem extra so konzipiert, dass wir die App weiter nutzen und in eine Art Abhängigkeit kommen – die einen mehr, die anderen weniger. Weiterhin gilt es zu verstehen, dass uns Algorithmen vorgeben, was wir sehen und dass unsere Freunde ganz andere Inhalte zu sehen bekommen. Das wären dann natürlich Themen für die größeren Kids. Im Internet lauern viele Gefahren, denen Kinder und Jugendliche begegnen können. Das geht von Datenklau, über gefährliche Challenges bei TikTok, Pro-Ana-Essstörung-Gruppen bis hin zu Online Glücksspielen.
In dieses riesige Feld können wir die Kinder nicht unbeaufsichtigt drauf loslassen. Wir lassen sie ja auch nicht alleine auf den Straßenverkehr los oder unvorbereitet in die Berufswelt.
Wie groß ist das Problem Mediensucht bei Kindern und Jugendlichen?
Leider belegen Studien, dass immer mehr Kinder und Jugendliche eine Medienabhängigkeit oder eine internetbezogene Störung ausgebildet haben. Das UKE (Uniklinikum Eppendorf) hat eine Studie herausgebracht, in der sie von ungefähr 4% aller Jugendlichen sprechen, die eine Art Abhängigkeit haben. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung spricht sogar von 8%. Egal welche Studie man sich anschaut, es lässt sich auf jeden Fall eine Entwicklung erkennen, dass es immer mehr werden. Diesen Trend müssen wir als Beratungsstellen/Pädagog:innen irgendwie aufholen und ihm entgegenwirken.
Wie äußert sich das Thema Mediensucht im Kitabereich?
Im Kinderbereich machen ja die meisten Kids ihre ersten Erfahrungen mit Medien und da gibt es noch keine Problematiken. Es geht dort mehr um eine frühe Sensibilisierung. Die Probleme entstehen dann erst später bei Jugendlichen. Dort entstehen oft Diskussionen über die Zeit und Art der Mediennutzung. In 50% der Haushalte gibt es tatsächlich keine klaren Medienregeln, die aber unbedingt erforderlich sind, damit es funktionieren kann.
Um Probleme zu vermeiden, ist es wichtig, die Eltern mit ins Boot zu holen. Sie müssen für den Umgang mit Medien sensibilisiert werden, da sie eine wichtige Vorbildfunktion haben. Am besten erreicht man die Eltern in den Kitas, da sie in dem Alter noch viel enger an den Kindern dran sind.
Wie sieht es mit der Bereitschaft auf Seiten der Pädagog:innen aus? Haben sie grundsätzlich Lust, sich mit dem Thema zu beschäftigen?
Hört man sich auf Trägerebene um, habe ich öfter gehört, dass es immer noch Fachkräfte gibt, die sagen, eine Kita sollte ein medienfreier Raum sein und auch bleiben. Die Kinder seien ja schon überall beschallt von den ganzen Geräten und dies entspreche ja nicht der Lebenswirklichkeit. Ich als Sozialarbeiter arbeite ja immer sehr lebensweltorientiert und beobachte, dass die Kinder mit Netflix und der Amazon Mediathek groß werden. Sie benutzen ihre Tonieboxen und bekommen mit, wie ihre Eltern Voice Computer benutzen. Deswegen wäre es für mich eher ein bisschen realitätsfremd, zu sagen, Medien gehören nicht in die Lebenswirklichkeit der Kinder. Viele Fachkräfte haben aber auch Lust auf das Thema Medien und haben es in den Kita-Alltag integriert. Sie sind sich bewusst, wie wichtig eine frühe Förderung ist und dass es einen riesigen Unterschied macht, ob die Kinder Medien nur stumpf konsumieren, oder sich auch kreativ und kompetent damit auseinandersetzen können.
Wie sollen pädagogische Fachkräfte am besten mit dem Thema Medienpädagogik umgehen und wie können sie die Kinder bestmöglich fördern?
Ich wünsche mir, dass mehr Fachkräfte die Scheu verlieren und den Mut haben, auch mal Sachen auszuprobieren. Es muss ja nicht gleich ein riesiges Projekt sein. Man kann zum Beispiel mit einem Tablet rausgehen und alles fotografieren, was mit dem Buchstaben B beginnt. Da hat man auch gleich ein bisschen Sprachförderung mit dabei. Anschließend kann man zum Beispiel zu Rossmann gehen und die Fotos ausdrucken oder sie selbst am Computer bearbeiten. Das wäre ein kleines Projekt, mit dem man zeigen kann, dass man auch was anderes außer daddeln machen kann.
Wichtig finde ich auch, dass Medien in der Kita nicht als zusätzliche Aufgabe und Mehrarbeit empfunden werden, sondern eher als Ergänzung oder Alternative zu einer dagewesenen Aktivität.
Am Anfang kann man sich auch Fachleute dazuholen. In Schleswig-Holstein wäre das zum Beispiel der Offene Kanal Kiel. Sie bieten einen Mediencheck in der Einrichtung an, bei dem gemeinsam ein Medienkonzept erarbeitet wird. Mehr Infos dazu findet ihr hier.
Medien sind immer weiter in unsere Lebensrealität gerückt. Siehst du da in Zukunft eine Gefahr? Muss man irgendwo sagen "Hier ist jetzt Stopp?”
In der Mediennutzung ist es ganz wichtig, Regeln aufzustellen. Das ist genauso wie bei allem. Kinder und Jugendliche brauchen klare Regeln, damit sie sich orientieren können, auch wenn sie sich in ihrer Identitätsbildung befinden. Aber das weiß man ja als Erzieher:in oder als Pädagog:in. Wenn ich ihnen keine Regeln an die Hand gebe, dann sind sie orientierungslos.
Viele Eltern wollen das ungern machen, weil sie müde sind, in diesem Kampf zu kämpfen. Bei Elternabenden sage ich dann oft “Wir sind nicht die Buddys unserer Kinder!”. Wie soll sich ein Kind oder ein Jugendlicher von seinem Elternhaus abgrenzen, wenn wir die gleichen Klamotten wie sie tragen und mit ihnen bei Facebook und Instagram befreundet sind? In erster Linie sind wir Eltern und haben einen Erziehungsauftrag. Das dürfen wir nicht vergessen.
Die Kinder brauchen Begleitung, sie brauchen jemanden, der sie an die Hand nimmt und mit ihnen zusammen in diese digitale Welt geht.
Und wie gesagt, diese Kompetenzvermittlung, diese Wissensvermittlung kann meines Erachtens nicht früh genug anfangen. Sie sollte nicht mit dem ersten Medienbesitz anfangen, sondern schon mit dem ersten Medienkonsum – und der findet eben oft in den Kitas statt.
Manfred Patzer-Bönig ist stattlich anerkannter Erzieher und Sozialarbeiter B.A.. Seit einem Jahr arbeitet er bei der Landesstelle für Suchthilfe Schleswig-Holstein und ist dort für den Bereich Medienabhängigkeit zuständig. Sein persönliches Anliegen ist es, für das Thema Mediensuchtprävention schon im Kitabereich ein Bewusstsein zu schaffen. Manfred ist selbst Vater von zwei Kindern.
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