Ein Artikel von Angela Pfeiffer
Gestatten, Hochsensibel mein Name!
Manchmal werde ich auch Neurosensitiv genannt, da mein Nervensystem sehr sensibel ist und wie ein Smartphone bei der leisesten Berührung sofort anspringt und in voller Bereitschaft ist. Bei mir kann das ein äußerer Reiz sein wie ein Geräusch, ein Duft oder die Stimmung eines anderen Menschen. All das kann mich ziemlich überwältigen, weil mein Reizfilter sehr niedrig ist. Ich nehme viele Reize bewusst, aber auch unbewusst wahr und meine „Nervensystem-Apps“ laufen schnell auf Hochtouren, um alle eingehenden Informationen zu verarbeiten. Manchmal fühle ich mich dann regelrecht überschwemmt, überreizt und überfordert. Wenn diese Situation eintrifft, werde ich von jetzt auf gleich sehr wütend, schreie, weine oder ziehe mich zurück, bin unkonzentriert oder stehe „neben“ mir. Dann brauche ich unbedingt Ruhe und einen Ort des Rückzugs, um mein überreiztes Nervenkostüm wieder zu beruhigen. Manchmal bringen mich auch innere Reize wie Hunger, eigene Gedanken oder Gefühle in höchste nervliche Aktivität und schnell aus der Balance.
Es kann sein, dass mich ein einziges Wort eines Mitmenschen oder ein eigener Gedanke tage- oder wochenlang beschäftigt. Er wird in der Tiefe meines Selbst ausführlich von allen Seiten betrachtet, beleuchtet, beschnuppert, analysiert und zu guter Letzt interpretiert und eingeordnet. Ich kann ihn nicht einfach so stehen lassen, denn ich verspüre das innerliche Bedürfnis, das Gesagte oder Erlebte in einen größeren Kontext einzuordnen, sodass es für mich einen Sinn ergibt. A propos Sinn: Oft habe ich schon in sehr jungen Jahren eine starke Sehnsucht nach Sinnhaftigkeit und Spiritualität. Ich fühle mich sehr mit der Welt, mit all ihren sichtbaren und unsichtbaren Wesen verbunden. Es gibt Momente, in denen ich sogar den Eindruck habe, Nicht-Sichtbares zu sehen oder zu hören. Leider kann ich diese Wahrnehmungen oft mit niemandem teilen, weil ich fürchte, dass mich die anderen auslachen könnten. Aber ich spüre alles ganz genau und ich liebe es, in diese unsichtbaren Welten mit Hilfe von Tagträumen, Alleinsein und Selbstgesprächen ein- und abzutauchen.
Dort ist es nämlich so bunt, abenteuerlich und fantastisch, dass es durchaus passieren kann, dass die echte Welt um mich herum verschwindet und kein Wort mehr zu mir durchdringt.
Wenn ich so versunken bin in die Anderswelt bzw. in meine lebhafte Innenwelt, fühle ich mich angekommen und zu Hause. Ich merke, dass alles einen Sinn hat, ich verbunden bin mit der Welt und dem Universum und das finde ich einfach wunderschön. In meiner unsichtbaren Traumwelt könnte ich ewig verweilen, umso ärgerlicher ist es dann für mich, wenn ich plötzlich aus ihr herausgerissen werde, um lästigen Aufgaben und Pflichten nachzukommen. Da kann es schonmal sein, dass ich – eben noch ruhig spielend oder in Gedanken versunken – plötzlich wütend und laut werde. Meine Mitmenschen können das oft nicht nachvollziehen und mir fällt es schwer, ihnen begreiflich zu machen, was alles in mir vorgeht und warum ich so dringend abtauchen muss.
Meine Liebe für das Sinnhafte spiegelt sich übrigens auch in meiner Abneigung gegen oberflächliches Gerede wider. Diese Art von Gespräch ist für mich unerträglich und eine reine Zeitverschwendung. Schon im Kindesalter suche ich nach Wahrhaftigkeit und Tiefgang in meinen Gesprächen und Gesprächspartnern. Mein Gegenüber und all seine Facetten interessieren und berühren mich wirklich. Ich nehme jedes Detail an ihm und seinen Worten, den feinen Nuancen seiner Tonlage, seiner Stimme wahr. So kann ein Gespräch zu einem wahren Genuss für mich werden, wenn es aus dem Herzen herausgeführt wird. Manchmal überrasche ich meine erwachsenen Mitmenschen zuweilen mit spontanen, fast schon philosophischen Aussagen wie „Ich finde, wir nehmen unseren Haustieren ihre natürliche Freiheit.”
Im Zusammensein mit anderen nehme ich allerdings auch gerne wie ein Schwamm alles Positive und Negative meiner Mitmenschen auf.
Leider merke ich das erst oft wesentlich später und wundere mich nur, warum ich eben noch gut drauf und auf einmal sehr traurig bin. Das passiert mir übrigens auch häufig wenn ich sehr emotionale Filme sehe. Deshalb vermeide ich es auch mir Trauriges oder Actionreiches anzusehen. Meine vielen Spiegelneuronen lassen mich das dargestellte Leid so intensiv spüren, dass ich es tagelang, ja sogar wochenlang nicht abschütteln kann. Da reicht auch schon eine dramatische Szene, um mich komplett aus dem Gleichgewicht zu bringen. Eine meiner großen Aufgaben ist es deshalb, mich abzugrenzen und genau hinzuspüren, was wirklich zu mir gehört und alles andere liebevoll loszulassen. Das alles kostet mich verständlicherweise sehr viel Energie und meine Akkus entladen sich schnell. Aus diesem Grund müssen sie regelmäßig an die Ladestation und brauchen Ruhe und Erholung. Einerseits liebe ich diese Ladephasen, in denen ich für mich bin, meinen Gedanken und Träumen nachhängen kann, aber andererseits ärgert es mich manchmal auch, eine Pause einlegen zu müssen, weil ich gerne aktiv sein will, mit anderen etwas spielen möchte und so viele Ideen habe, die ich gern umsetzen würde. Aber wenn ich nicht auf den Ladezustand meiner Akkus achte und mich im Außen verausgabe, mich in meiner Umwelt und dem Leid der Welt verliere, dann habe ich keine Bodenhaftung mehr, hebe ab, fühle mich wie im Orbit unterwegs, überreizt, verloren und am Ende absolut leer.
Was brauche ich also, damit es erst gar nicht dazu kommt? Zuallererst wünsche ich mir, dass mein Umfeld und ich selbst auch meine Hochsensibilität sehen, annehmen und verstehen können. Mein Körper ist dabei mein Lehrmeister. Wenn ich gut in ihm verankert bin, spüre ich sofort, was ich brauche und kann eigenständig Lademaßnahmen ergreifen: Mich zurückziehen, in den Garten oder raus in die Natur gehen, barfuß durch die Wohnung laufen oder ein Bad nehmen. Ich muss mich dafür nicht rechtfertigen oder erklären. Ich sorge einfach für mich selbst und das ist gut so. Als hochsensibles Kind muss ich das alles aber erst noch lernen und bin dankbar, wenn ich dabei von wertschätzenden Erwachsenen liebevoll begleitet und an die Hand genommen werde. So entwickle ich Strategien, die für mich im weiteren Leben unglaublich hilfreich sind. Durch sie weiß ich, wie ich mit mir selbst liebevoll umgehen darf, damit ich die Sonnenseiten meiner Hochsensibilität leben und entfalten kann. Dann erstrahlen schließlich meine Empathiefähigkeit, meine Feinfühligkeit, meine Kreativität und meine schnelle Auffassungsgabe.
Ich sehe plötzlich blitzschnell neue Lösungswege, wo andere lange nach einem Ausweg suchen. Es macht mir Freude, meine Hochsensibilität als Gabe und nicht als Bürde zu verstehen und zu leben - einfach gesund & glücklich hochsensibel zu sein!
Angela Pfeiffer ist zertifizierter Coach für Hochsensibilität (Aurum Cordis) und Gesundheitspädagogin (Sebastian Kneipp Akademie). Seit mehr als 20 Jahren übt sie Lehr- und Dozententätigkeiten im Bereich der Erwachsenen- und Schulbildung aus. Aufgrund ihrer eigenen Hochsensibilität ist es ihr ein persönliches Anliegen, über dieses besondere Persönlichkeitsmerkmal und ihren Umgang damit im (Berufs-) Alltag zu informieren. Das ganzheitliche Gesundheitskonzept nach Sebastian Kneipp prägte und begeisterte sie nachhaltig, sodass es ihr eine Herzensangelegenheit ist, es anderen Menschen näherzubringen. Neben ihrer Referententätigkeit coacht und berät Frau Angela Pfeiffer seit Januar 2019 zum Thema Gesundheitsförderung und Hochsensibilität in eigener Praxis und bietet zudem verschiedene Workshops an.
Mehr Information findest Du auf Angelas Website unter www.angela-pfeiffer-coaching.de
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