Bei dem Thema Kindeswohlgefährdung gibt es immer wieder Unsicherheiten -
sowohl bei den betroffenen Familien als auch bei Fachkräften. Es ist ein Bereich,
der eine stetige Reflexion und Weiterentwicklung erfordert. Doch wie lernt
man als Fachkraft, eine Gefährdungssituation richtig einzuschätzen? Welche
Herausforderungen und Unterstützungsangebote gibt es in der pädagogischen
Praxis? Im Interview beantwortet uns Sozialarbeiterin und Systemische
Familientherapeutin Anna Doppel diese und weitere wichtige Fragen rund um
das Thema Kindeswohlgefährdung.
Wie bist Du dazu gekommen, Dich mit dem Thema
Kindeswohlgefährdung in der Pädagogik zu beschäftigen?
In meinem Studium der Sozialen Arbeit war Kinderschutz tatsächlich
eher ein Randthema. Mit meinem Berufseinstieg in einer
Kita und später in der Familienhilfe, bin ich jedoch zunehmend damit
in Berührung gekommen. Dabei habe ich sowohl die Unsicherheiten
aller Beteiligten, als auch meine eigene Unsicherheit in Bezug auf
dieses komplexe Thema sehr deutlich gespürt. Durch meine Tätigkeit
als Familienhelferin hatte ich intensiven Kontakt zu Jugendämtern,
was mir einen tieferen Einblick in die Arbeit des Kinderschutzes
ermöglichte. Vor knapp acht Jahren habe ich dann selbst angefangen im
Regionalen Sozialpädagogischen Dienst eines Berliner Jugendamtes zu
arbeiten. Zu guter Letzt bekam ich die Möglichkeit, mich mit einer
umfassenden Abschlussarbeit zum Thema Systemischer Kinderschutz
im Kontext Jugendamt als Systemische Einzel-, Paar- und Familientherapeutin
durch die Deutsche Gesellschaft für Systemische Therapie
(DGSF) zertifizieren zu lassen.
Kindeswohlgefährdung ist kein Thema, über das man gerne
spricht. Wieso ist es dennoch oder gerade deshalb so
wichtig, sich im pädagogischen Alltag damit zu beschäftigen?
Ist Kindeswohlgefährdung ein alltägliches Thema?
Glücksfähigkeit ist die innere Kompetenz, Freude und
Zufriedenheit zu empfinden, unabhängig von äußeren
Umständen. Musik kann diese Fähigkeit auf erstaunliche
Weise stärken. Sie schult das Gehirn, auf positive
Reize zu reagieren, und hilft, glückliche Momente
intensiver zu erleben. Wenn Du selbst Musik machst,
wie etwa singst oder ein Instrument spielst, wird der
Effekt sogar noch stärker. Studien zeigen, dass aktives
Musizieren die emotionale Intelligenz fördern und das
Selbstbewusstsein sowie das Zugehörigkeitsgefühl
stärken kann – all das sind wichtige Faktoren für
langfristiges Glück. ...
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Bei dem Thema Kindeswohlgefährdung gibt es immer wieder Unsicherheiten -
sowohl bei den betroffenen Familien als auch bei Fachkräften. Es ist ein Bereich,
der eine stetige Reflexion und Weiterentwicklung erfordert. Doch wie lernt
man als Fachkraft, eine Gefährdungssituation richtig einzuschätzen? Welche
Herausforderungen und Unterstützungsangebote gibt es in der pädagogischen
Praxis? Im Interview beantwortet uns Sozialarbeiterin und Systemische
Familientherapeutin Anna Doppel diese und weitere wichtige Fragen rund um
das Thema Kindeswohlgefährdung.
Wie bist Du dazu gekommen, Dich mit dem Thema
Kindeswohlgefährdung in der Pädagogik zu beschäftigen?
Kindeswohlgefährdung in der Pädagogik zu beschäftigen?
In meinem Studium der Sozialen Arbeit war Kinderschutz tatsächlich
eher ein Randthema. Mit meinem Berufseinstieg in einer
Kita und später in der Familienhilfe, bin ich jedoch zunehmend damit
in Berührung gekommen. Dabei habe ich sowohl die Unsicherheiten
aller Beteiligten, als auch meine eigene Unsicherheit in Bezug auf
dieses komplexe Thema sehr deutlich gespürt. Durch meine Tätigkeit
als Familienhelferin hatte ich intensiven Kontakt zu Jugendämtern,
was mir einen tieferen Einblick in die Arbeit des Kinderschutzes
ermöglichte. Vor knapp acht Jahren habe ich dann selbst angefangen im
Regionalen Sozialpädagogischen Dienst eines Berliner Jugendamtes zu
arbeiten. Zu guter Letzt bekam ich die Möglichkeit, mich mit einer
umfassenden Abschlussarbeit zum Thema Systemischer Kinderschutz
im Kontext Jugendamt als Systemische Einzel-, Paar- und Familientherapeutin
durch die Deutsche Gesellschaft für Systemische Therapie
(DGSF) zertifizieren zu lassen.
Kindeswohlgefährdung ist kein Thema, über das man gerne
spricht. Wieso ist es dennoch oder gerade deshalb so
wichtig, sich im pädagogischen Alltag damit zu beschäftigen?
Ist Kindeswohlgefährdung ein alltägliches Thema?
Kindeswohlgefährdung (KWG) passiert häufig im Verborgenen
und ist oft nur schwer erkennbar. Gerade deshalb ist es essenziell,
dass Fachkräfte eine hohe Sensibilität entwickeln und Kinder, die
ihnen anvertraut sind, aufmerksam begleiten. Es ist wichtig, Warnsignale
wahrzunehmen, auch wenn diese nicht immer offensichtlich
sind. KWG geht in der Regel mit Überforderung und Hilflosigkeit auf
Seiten der Eltern oder Betreuungspersonen einher und ist oft von
Scham und Angst geprägt. Leider begegnet mir dieses Thema in allen
gesellschaftlichen Schichten. Der Begriff Wohlstandsverwahrlosung
verdeutlicht, dass Vernachlässigung und Misshandlung unabhängig
von materiellen Ressourcen auftreten können. Gerade deshalb ist
es unerlässlich, sich als Fachkraft aktiv mit dem Thema auseinanderzusetzen,
um präventiv handeln zu können.
Heftiger Streit unter Kindern, verbale Gewalt
durch Erzieher:innen oder eine Ohrfeige zu Hause?
Wie definiert man denn Kindeswohlgefährdung?
KWG impliziert immer, dass ein Grundbedürfnis des Kindes
nicht erfüllt wird. Wichtig ist, dass es sich um Einzelfälle handelt
und man die persönliche Situation des Kindes und dessen Familie
berücksichtigen muss. Laut Definition des BGH ist eine KWG eine gegenwärtige,
in einem solchen Maß vorhandene Gefahr, bei deren weiteren
Entwicklung eine erhebliche Schädigung des Kindes mit hinreichender
Wahrscheinlichkeit zu erwarten oder bereits eingetreten ist. Dieser
unbestimmte Rechtsbegriff erfordert eine professionelle Einschätzung
durch Fachkräfte. Im §1666 BGB wird die KWG etwas genauer unterteilt
in körperlich, geistig, seelisch oder das Vermögen des Kindes
betreffend. Besonders schwierig ist die Erkennung von seelischer
oder geistiger Gefährdung, da diese oft subtiler ist und im Alltag
weniger offensichtlich wird. Institutionelle Gewalt – etwa durch Fachkräfte
in pädagogischen Einrichtungen – stellt einen besonderen Fall dar.
Hier spricht man von institutionellem Kinderschutz. Leider kommt es in
Kinder- und Jugendeinrichtungen immer wieder zu Übergriffen, was oft
mit Überforderung und Fachkräftemangel zusammenhängt. In meiner
Arbeit als Referentin und Supervisorin erlebe ich, wie wichtig Schulungen
und Reflexionsräume für Fachkräfte sind, um diese Problematik
zu besprechen und ihr entgegenwirken zu können.
Verhält sich ein betroffenes Kind denn immer anders?
Woran erkenne ich als Fachkraft eine mögliche Gefährdung bei
einem Kind?
Nicht unbedingt. Kinder, die von einer KWG betroffen sind, können
sowohl auffällig als auch (über-)angepasst sein. Gerade letzteres
macht es für Fachkräfte schwierig, eine Gefährdung zu erkennen. Es
gibt jedoch Anhaltspunkte, die Hinweise auf eine KWG liefern können,
z. B. ungewöhnliche Verhaltensweisen, Entwicklungsverzögerungen
oder Auffälligkeiten im äußeren Erscheinungsbild des Kindes. Auch problematische
familiäre Lebensumstände, traumatische Ereignisse oder
auffälliges elterliches Erziehungsverhalten können Indikatoren sein.
Wichtig ist, dass diese Hinweise immer im Gesamtkontext betrachtet
werden. Ein einmaliges Fehlverhalten der Eltern ist nicht automatisch
eine KWG, aber wiederkehrende oder schwerwiegende Muster müssen
im Auge behalten werden.
Sollte man als Fachkraft im Team oder mit den Eltern über
einen Verdacht auf Kindeswohlgefährdung sprechen? Ist es
nicht gefährlich, möglicherweise jemanden zu unrecht zu
beschuldigen? Welche Rolle spielen Fachkräfte generell in der
Früherkennung und Intervention bei Kindeswohlgefährdung?
Gemäß § 8a SGB VIII sind Fachkräfte verpflichtet, bei Anhaltspunkten
für eine mögliche KWG eine Gefährdungseinschätzung vorzunehmen
– mindestens im 4-Augen-Prinzip mit einer insoweit erfahrenen
Fachkraft. Dabei sollen die Eltern und, wenn möglich, das
betroffene Kind oder der Jugendliche einbezogen werden. Dies
bedeutet, dass Gespräche im Team und mit den Eltern sogar
gesetzlich vorgeschrieben sind. Besonders bei Elterngesprächen
ist viel Feingefühl gefragt. Ziel ist es, die Eltern für Hilfsangebote zu
öffnen, ohne durch Vorwürfe oder Schuldzuweisungen Widerstände
zu erzeugen. Für viele Eltern fühlt sich eine KWG wie ein Versagen
ihrer Erziehungsfähigkeit an, was eine große emotionale Belastung
darstellt. Ein Sonderfall ist der Verdacht auf sexuellen Missbrauch
innerhalb der Familie. In solchen Fällen sollte ein individuelles Vorgehen
entwickelt und eng mit dem Jugendamt abgestimmt werden.
Fachkräfte spielen eine zentrale Rolle in der Früherkennung und
Intervention bei KWG. Sie sind oft die ersten Personen, die eine Veränderung
im Verhalten oder Umfeld eines Kindes wahrnehmen, und
müssen daher besonders aufmerksam und geschult sein, um angemessen
reagieren zu können.
Was sind für Dich die größten Herausforderungen,
denen Du beim Umgang mit Kindeswohlgefährdung
in der pädagogischen Praxis begegnest?
Die größte Challenge sehe ich im Umgang mit widerständigen
Eltern und in der Tatsache, dass Unterstützung häufig nicht sofort
möglich ist. Es braucht oft Zeit, bis Hilfsangebote etabliert werden können
– sei es wegen fehlender Ressourcen, wie Fachkräften oder passenden
Angeboten, oder weil die Zustimmung der Eltern oder im
äußersten Fall des Familiengerichts notwendig ist. Diese langen Prozesse
können emotional belastend sein, da man als Fachkraft oft das
Gefühl hat, die Verantwortung allein tragen zu müssen. Umso wichtiger
ist ein unterstützendes Team, das gemeinsam an einem Strang zieht
und die Last mitträgt. Ich habe das Glück in einem solchen Team zu
arbeiten und weiß dies sehr zu schätzen.
Gibt es präventive Maßnahmen, die in pädagogischen
Einrichtungen umgesetzt werden können, um das Risiko
von Kindeswohlgefährdung zu minimieren?
Ja, es gibt viele Maßnahmen, die präventiv wirken können. Eine
wichtige Grundlage ist, im Team eine Kultur des Hinsehens und der
Offenheit zu fördern. Dazu gehören regelmäßige Beratungen, Intervisionen
und Teamgespräche, die es ermöglichen, Probleme frühzeitig
zu erkennen und gemeinsam Lösungen zu entwickeln. Essenziell ist
auch die Entwicklung eines Schutzkonzepts, das Verhaltensregeln
und Handlungsstrategien definiert. Ein Verhaltenskodex, regelmäßige
Teamfortbildungen und die Sensibilisierung für das Thema sind weitere
wichtige Bausteine. Darüber hinaus ist ein angemessener Personalschlüssel
entscheidend, allerdings stoßen wir hier schnell auf strukturelle
Grenzen.
An welche externen Fachstellen oder Institutionen
können Einrichtungen sich wenden, um im Falle einer
Kindeswohlgefährdung Unterstützung zu erhalten?
Jede Einrichtung sollte über mindestens eine Fachkraft (insoweit
erfahrene Fachkraft) verfügen, die sich im Kinderschutz besonders
gut auskennt. Kleinere Einrichtungen, die keine internen Expert:innen
haben, sind oft an einen Dachverband angeschlossen, der insoweit
erfahrene Fachkräfte bereitstellt. Darüber hinaus bieten auch die örtlichen
Jugendämter Beratung und Unterstützung an. Trotzdem erlebe
ich in meinen Seminaren immer wieder, dass Fachkräfte nicht wissen,
an wen sie sich in ihrer Einrichtung wenden können. Dann sollte der
erste Schritt der Kontakt zu Vorgesetzten sein.
Kannst Du uns ein Beispiel aus Deiner Praxis nennen
für einen guten Umgang und eine frühzeitige Intervention
in einer Gefährdungssituation?
Oh, da gibt es einige! In den Medien wird ja nur von Fällen
berichtet, bei denen etwas schiefgelaufen ist. Im Berufsalltag gibt
es zwar viele Hürden und Hindernisse, aber trotzdem überwiegen
positive Fallverläufe, die zeigen, wie wichtig frühzeitige Intervention ist.
Ich erinnere mich an zwei Geschwister aus einer Grundschule.
Der jüngere Bruder fiel durch aggressives Verhalten gegenüber Mitschülern
und Lehrkräften sowie durch mangelndes Interesse auf.
Seine ältere Schwester hatte wiederum mit Mobbing zu kämpfen.
Bald wurden Schulhilfekonferenzen abgehalten, zu denen auch ich
in meiner Funktion als Jugendamtsmitarbeiterin eingeladen wurde.
Durch die enge Zusammenarbeit mit der Schule konnte früh Kontakt
zur alleinerziehenden Mutter hergestellt werden. Sie litt an Depressionen,
verstärkt durch einen kürzlichen Todesfall in der Familie.
Diese Situation belastete die gesamte Familie, die Mutter zog sich
zunehmend zurück. Sie war phasenweise nicht in der Lage, den Alltag
allein zu bewältigen oder den Bedürfnissen ihrer Kinder gerecht zu
werden. Doch auch beide Kinder hatten einen geliebten Menschen
verloren und litten darunter.
Nach mehreren Gesprächen erkannte die Mutter, dass sie Unterstützung
benötigte. Wir konnten eine Familienhilfe und einen Erziehungsbeistand
organisieren. Diese Unterstützung hat dazu beigetragen,
dass die Mutter wieder in ihre Stärke fand, und dass die Kinder
gezielt gefördert und entlastet wurden. Solche positiven Entwicklungen
zeigen, wie viel durch frühes Eingreifen bewirkt werden
kann. —
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Anna Doppel ist Sozialpädagogin und Sozialarbeiterin, Systemische Therapeutin (DGSF)
und familienzentrierte Stressmanagerin mit den Schwerpunkten Kinderschutz
und Kommunikation. Neben ihrer mehrjährigen Arbeit im Regional Sozialpädagogischen
Dienst eines Berliner Jugendamtes bringt sie Praxiserfahrung
aus Kitas und als Familienhelferin bei psychisch erkrankten Eltern mit. Sie ist
als Gründerin des Kommunikationsraums Berlin seit vielen Jahren bundesweit
als Dozentin tätig.