Dec 4 / Anna Doppel

Kindeswohlgefährdung erkennen und richtig handeln


Ein Interview mit Anna Doppel
Write your awesome label here.
Bei dem Thema Kindeswohlgefährdung gibt es immer wieder Unsicherheiten - sowohl bei den betroffenen Familien als auch bei Fachkräften. Es ist ein Bereich, der eine stetige Reflexion und Weiterentwicklung erfordert. Doch wie lernt man als Fachkraft, eine Gefährdungssituation richtig einzuschätzen? Welche Herausforderungen und Unterstützungsangebote gibt es in der pädagogischen Praxis? Im Interview beantwortet uns Sozialarbeiterin und Systemische Familientherapeutin Anna Doppel diese und weitere wichtige Fragen rund um das Thema Kindeswohlgefährdung.

Wie bist Du dazu gekommen, Dich mit dem Thema Kindeswohlgefährdung in der Pädagogik zu beschäftigen?

In meinem Studium der Sozialen Arbeit war Kinderschutz tatsächlich eher ein Randthema. Mit meinem Berufseinstieg in einer Kita und später in der Familienhilfe, bin ich jedoch zunehmend damit in Berührung gekommen. Dabei habe ich sowohl die Unsicherheiten aller Beteiligten, als auch meine eigene Unsicherheit in Bezug auf dieses komplexe Thema sehr deutlich gespürt. Durch meine Tätigkeit als Familienhelferin hatte ich intensiven Kontakt zu Jugendämtern, was mir einen tieferen Einblick in die Arbeit des Kinderschutzes ermöglichte. Vor knapp acht Jahren habe ich dann selbst angefangen im Regionalen Sozialpädagogischen Dienst eines Berliner Jugendamtes zu arbeiten. Zu guter Letzt bekam ich die Möglichkeit, mich mit einer umfassenden Abschlussarbeit zum Thema Systemischer Kinderschutz im Kontext Jugendamt als Systemische Einzel-, Paar- und Familientherapeutin durch die Deutsche Gesellschaft für Systemische Therapie (DGSF) zertifizieren zu lassen.

Kindeswohlgefährdung ist kein Thema, über das man gerne spricht. Wieso ist es dennoch oder gerade deshalb so wichtig, sich im pädagogischen Alltag damit zu beschäftigen? Ist Kindeswohlgefährdung ein alltägliches Thema?

Glücksfähigkeit ist die innere Kompetenz, Freude und Zufriedenheit zu empfinden, unabhängig von äußeren Umständen. Musik kann diese Fähigkeit auf erstaunliche Weise stärken. Sie schult das Gehirn, auf positive Reize zu reagieren, und hilft, glückliche Momente intensiver zu erleben. Wenn Du selbst Musik machst, wie etwa singst oder ein Instrument spielst, wird der Effekt sogar noch stärker. Studien zeigen, dass aktives Musizieren die emotionale Intelligenz fördern und das Selbstbewusstsein sowie das Zugehörigkeitsgefühl stärken kann – all das sind wichtige Faktoren für langfristiges Glück. ...

Logge Dich ein, um den gesamten Artikel zu lesen!

Bei dem Thema Kindeswohlgefährdung gibt es immer wieder Unsicherheiten - sowohl bei den betroffenen Familien als auch bei Fachkräften. Es ist ein Bereich, der eine stetige Reflexion und Weiterentwicklung erfordert. Doch wie lernt man als Fachkraft, eine Gefährdungssituation richtig einzuschätzen? Welche Herausforderungen und Unterstützungsangebote gibt es in der pädagogischen Praxis? Im Interview beantwortet uns Sozialarbeiterin und Systemische Familientherapeutin Anna Doppel diese und weitere wichtige Fragen rund um das Thema Kindeswohlgefährdung.

Wie bist Du dazu gekommen, Dich mit dem Thema Kindeswohlgefährdung in der Pädagogik zu beschäftigen?

Kindeswohlgefährdung in der Pädagogik zu beschäftigen? In meinem Studium der Sozialen Arbeit war Kinderschutz tatsächlich eher ein Randthema. Mit meinem Berufseinstieg in einer Kita und später in der Familienhilfe, bin ich jedoch zunehmend damit in Berührung gekommen. Dabei habe ich sowohl die Unsicherheiten aller Beteiligten, als auch meine eigene Unsicherheit in Bezug auf dieses komplexe Thema sehr deutlich gespürt. Durch meine Tätigkeit als Familienhelferin hatte ich intensiven Kontakt zu Jugendämtern, was mir einen tieferen Einblick in die Arbeit des Kinderschutzes ermöglichte. Vor knapp acht Jahren habe ich dann selbst angefangen im Regionalen Sozialpädagogischen Dienst eines Berliner Jugendamtes zu arbeiten. Zu guter Letzt bekam ich die Möglichkeit, mich mit einer umfassenden Abschlussarbeit zum Thema Systemischer Kinderschutz im Kontext Jugendamt als Systemische Einzel-, Paar- und Familientherapeutin durch die Deutsche Gesellschaft für Systemische Therapie (DGSF) zertifizieren zu lassen.

Kindeswohlgefährdung ist kein Thema, über das man gerne spricht. Wieso ist es dennoch oder gerade deshalb so wichtig, sich im pädagogischen Alltag damit zu beschäftigen? Ist Kindeswohlgefährdung ein alltägliches Thema?

Kindeswohlgefährdung (KWG) passiert häufig im Verborgenen und ist oft nur schwer erkennbar. Gerade deshalb ist es essenziell, dass Fachkräfte eine hohe Sensibilität entwickeln und Kinder, die ihnen anvertraut sind, aufmerksam begleiten. Es ist wichtig, Warnsignale wahrzunehmen, auch wenn diese nicht immer offensichtlich sind. KWG geht in der Regel mit Überforderung und Hilflosigkeit auf Seiten der Eltern oder Betreuungspersonen einher und ist oft von Scham und Angst geprägt. Leider begegnet mir dieses Thema in allen gesellschaftlichen Schichten. Der Begriff Wohlstandsverwahrlosung verdeutlicht, dass Vernachlässigung und Misshandlung unabhängig von materiellen Ressourcen auftreten können. Gerade deshalb ist es unerlässlich, sich als Fachkraft aktiv mit dem Thema auseinanderzusetzen, um präventiv handeln zu können.

Heftiger Streit unter Kindern, verbale Gewalt durch Erzieher:innen oder eine Ohrfeige zu Hause? Wie definiert man denn Kindeswohlgefährdung?

KWG impliziert immer, dass ein Grundbedürfnis des Kindes nicht erfüllt wird. Wichtig ist, dass es sich um Einzelfälle handelt und man die persönliche Situation des Kindes und dessen Familie berücksichtigen muss. Laut Definition des BGH ist eine KWG eine gegenwärtige, in einem solchen Maß vorhandene Gefahr, bei deren weiteren Entwicklung eine erhebliche Schädigung des Kindes mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten oder bereits eingetreten ist. Dieser unbestimmte Rechtsbegriff erfordert eine professionelle Einschätzung durch Fachkräfte. Im §1666 BGB wird die KWG etwas genauer unterteilt in körperlich, geistig, seelisch oder das Vermögen des Kindes betreffend. Besonders schwierig ist die Erkennung von seelischer oder geistiger Gefährdung, da diese oft subtiler ist und im Alltag weniger offensichtlich wird. Institutionelle Gewalt – etwa durch Fachkräfte in pädagogischen Einrichtungen – stellt einen besonderen Fall dar. Hier spricht man von institutionellem Kinderschutz. Leider kommt es in Kinder- und Jugendeinrichtungen immer wieder zu Übergriffen, was oft mit Überforderung und Fachkräftemangel zusammenhängt. In meiner Arbeit als Referentin und Supervisorin erlebe ich, wie wichtig Schulungen und Reflexionsräume für Fachkräfte sind, um diese Problematik zu besprechen und ihr entgegenwirken zu können.

Verhält sich ein betroffenes Kind denn immer anders? Woran erkenne ich als Fachkraft eine mögliche Gefährdung bei einem Kind?

Nicht unbedingt. Kinder, die von einer KWG betroffen sind, können sowohl auffällig als auch (über-)angepasst sein. Gerade letzteres macht es für Fachkräfte schwierig, eine Gefährdung zu erkennen. Es gibt jedoch Anhaltspunkte, die Hinweise auf eine KWG liefern können, z. B. ungewöhnliche Verhaltensweisen, Entwicklungsverzögerungen oder Auffälligkeiten im äußeren Erscheinungsbild des Kindes. Auch problematische familiäre Lebensumstände, traumatische Ereignisse oder auffälliges elterliches Erziehungsverhalten können Indikatoren sein. Wichtig ist, dass diese Hinweise immer im Gesamtkontext betrachtet werden. Ein einmaliges Fehlverhalten der Eltern ist nicht automatisch eine KWG, aber wiederkehrende oder schwerwiegende Muster müssen im Auge behalten werden.

Sollte man als Fachkraft im Team oder mit den Eltern über einen Verdacht auf Kindeswohlgefährdung sprechen? Ist es nicht gefährlich, möglicherweise jemanden zu unrecht zu beschuldigen? Welche Rolle spielen Fachkräfte generell in der Früherkennung und Intervention bei Kindeswohlgefährdung?

Gemäß § 8a SGB VIII sind Fachkräfte verpflichtet, bei Anhaltspunkten für eine mögliche KWG eine Gefährdungseinschätzung vorzunehmen – mindestens im 4-Augen-Prinzip mit einer insoweit erfahrenen Fachkraft. Dabei sollen die Eltern und, wenn möglich, das betroffene Kind oder der Jugendliche einbezogen werden. Dies bedeutet, dass Gespräche im Team und mit den Eltern sogar gesetzlich vorgeschrieben sind. Besonders bei Elterngesprächen ist viel Feingefühl gefragt. Ziel ist es, die Eltern für Hilfsangebote zu öffnen, ohne durch Vorwürfe oder Schuldzuweisungen Widerstände zu erzeugen. Für viele Eltern fühlt sich eine KWG wie ein Versagen ihrer Erziehungsfähigkeit an, was eine große emotionale Belastung darstellt. Ein Sonderfall ist der Verdacht auf sexuellen Missbrauch innerhalb der Familie. In solchen Fällen sollte ein individuelles Vorgehen entwickelt und eng mit dem Jugendamt abgestimmt werden. Fachkräfte spielen eine zentrale Rolle in der Früherkennung und Intervention bei KWG. Sie sind oft die ersten Personen, die eine Veränderung im Verhalten oder Umfeld eines Kindes wahrnehmen, und müssen daher besonders aufmerksam und geschult sein, um angemessen reagieren zu können.

Was sind für Dich die größten Herausforderungen, denen Du beim Umgang mit Kindeswohlgefährdung in der pädagogischen Praxis begegnest?

Die größte Challenge sehe ich im Umgang mit widerständigen Eltern und in der Tatsache, dass Unterstützung häufig nicht sofort möglich ist. Es braucht oft Zeit, bis Hilfsangebote etabliert werden können – sei es wegen fehlender Ressourcen, wie Fachkräften oder passenden Angeboten, oder weil die Zustimmung der Eltern oder im äußersten Fall des Familiengerichts notwendig ist. Diese langen Prozesse können emotional belastend sein, da man als Fachkraft oft das Gefühl hat, die Verantwortung allein tragen zu müssen. Umso wichtiger ist ein unterstützendes Team, das gemeinsam an einem Strang zieht und die Last mitträgt. Ich habe das Glück in einem solchen Team zu arbeiten und weiß dies sehr zu schätzen.

Gibt es präventive Maßnahmen, die in pädagogischen Einrichtungen umgesetzt werden können, um das Risiko von Kindeswohlgefährdung zu minimieren?

Ja, es gibt viele Maßnahmen, die präventiv wirken können. Eine wichtige Grundlage ist, im Team eine Kultur des Hinsehens und der Offenheit zu fördern. Dazu gehören regelmäßige Beratungen, Intervisionen und Teamgespräche, die es ermöglichen, Probleme frühzeitig zu erkennen und gemeinsam Lösungen zu entwickeln. Essenziell ist auch die Entwicklung eines Schutzkonzepts, das Verhaltensregeln und Handlungsstrategien definiert. Ein Verhaltenskodex, regelmäßige Teamfortbildungen und die Sensibilisierung für das Thema sind weitere wichtige Bausteine. Darüber hinaus ist ein angemessener Personalschlüssel entscheidend, allerdings stoßen wir hier schnell auf strukturelle Grenzen.

An welche externen Fachstellen oder Institutionen können Einrichtungen sich wenden, um im Falle einer Kindeswohlgefährdung Unterstützung zu erhalten?

Jede Einrichtung sollte über mindestens eine Fachkraft (insoweit erfahrene Fachkraft) verfügen, die sich im Kinderschutz besonders gut auskennt. Kleinere Einrichtungen, die keine internen Expert:innen haben, sind oft an einen Dachverband angeschlossen, der insoweit erfahrene Fachkräfte bereitstellt. Darüber hinaus bieten auch die örtlichen Jugendämter Beratung und Unterstützung an. Trotzdem erlebe ich in meinen Seminaren immer wieder, dass Fachkräfte nicht wissen, an wen sie sich in ihrer Einrichtung wenden können. Dann sollte der erste Schritt der Kontakt zu Vorgesetzten sein.

Kannst Du uns ein Beispiel aus Deiner Praxis nennen für einen guten Umgang und eine frühzeitige Intervention in einer Gefährdungssituation?

Oh, da gibt es einige! In den Medien wird ja nur von Fällen berichtet, bei denen etwas schiefgelaufen ist. Im Berufsalltag gibt es zwar viele Hürden und Hindernisse, aber trotzdem überwiegen positive Fallverläufe, die zeigen, wie wichtig frühzeitige Intervention ist. Ich erinnere mich an zwei Geschwister aus einer Grundschule. Der jüngere Bruder fiel durch aggressives Verhalten gegenüber Mitschülern und Lehrkräften sowie durch mangelndes Interesse auf. Seine ältere Schwester hatte wiederum mit Mobbing zu kämpfen. Bald wurden Schulhilfekonferenzen abgehalten, zu denen auch ich in meiner Funktion als Jugendamtsmitarbeiterin eingeladen wurde. Durch die enge Zusammenarbeit mit der Schule konnte früh Kontakt zur alleinerziehenden Mutter hergestellt werden. Sie litt an Depressionen, verstärkt durch einen kürzlichen Todesfall in der Familie. Diese Situation belastete die gesamte Familie, die Mutter zog sich zunehmend zurück. Sie war phasenweise nicht in der Lage, den Alltag allein zu bewältigen oder den Bedürfnissen ihrer Kinder gerecht zu werden. Doch auch beide Kinder hatten einen geliebten Menschen verloren und litten darunter. Nach mehreren Gesprächen erkannte die Mutter, dass sie Unterstützung benötigte. Wir konnten eine Familienhilfe und einen Erziehungsbeistand organisieren. Diese Unterstützung hat dazu beigetragen, dass die Mutter wieder in ihre Stärke fand, und dass die Kinder gezielt gefördert und entlastet wurden. Solche positiven Entwicklungen zeigen, wie viel durch frühes Eingreifen bewirkt werden kann.   —

Quellen

Titelbild: ©pexels.com/Jill Burrow

Zu diesem Thema empfehlen wir folgende Weiterbildungsangebote

Hol Dir jetzt Deinen Bildungsnachweis!

Du hast den Artikel aufmerksam gelesen und möchtest Dir Dein Wissen zu diesem Thema bestätigen lassen?
Um Dir den Bildungsnachweis zu sichern brauchst Du ein aktives Lernwelt+ Abo.
Du hast den Artikel aufmerksam gelesen und möchtest Dir Dein Wissen zu diesem Thema bestätigen lassen? Hol Dir nach bestandener Lernerfolgskontrolle Deinen Bildungsnachweis direkt zum Download. 
Empty space, drag to resize
Anna Doppel ist Sozialpädagogin und Sozialarbeiterin, Systemische Therapeutin (DGSF) und familienzentrierte Stressmanagerin mit den Schwerpunkten Kinderschutz und Kommunikation. Neben ihrer mehrjährigen Arbeit im Regional Sozialpädagogischen Dienst eines Berliner Jugendamtes bringt sie Praxiserfahrung aus Kitas und als Familienhelferin bei psychisch erkrankten Eltern mit. Sie ist als Gründerin des Kommunikationsraums Berlin seit vielen Jahren bundesweit als Dozentin tätig.
Empty space, drag to resize