Jun 17
Die Rolle der Pädagog:innen in der Reggio-Pädagogik: Bedeutungsvolle Gegensätze ohne Widerspruch
Ein Artikel von Tassilo Knauf
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Die Reggio-Pädagogik ist eine pädagogische Methode, die ihren Ursprung in der italienischen Stadt Reggio Emilia hat. Sie wurde nach dem Zweiten Weltkrieg bis Anfang der 70er-Jahre von Loris Malaguzzi zusammen mit Erzieher:innen und einigen Eltern entwickelt, die auf der Suche nach einer neuen Art der Bildung für ihre Kinder waren. Die Reggio-Pädagogik baut auf den fünf Säulen „Bild vom Kind”, Rolle des Erziehenden, Raum als dritter Erzieher, Projektarbeit und Dokumentation auf.
Ein wichtiges Prinzip der Reggio-Pädagogik ist dabei das Kultivieren und fantasievolle Gestalten von Gegensätzen, zum Beispiel bei der Raumgestaltung das Schaffen einer Atmosphäre der Geborgenheit, aber zugleich auch von Öffnungen zu anderen Räumen oder nach draußen. Auch in der Ausgestaltung der Pädagog:innenrolle sind Gegensätze bedeutungsvoll. So sollen die Pädagog:innen eine unverwechselbare Persönlichkeit mit Interessens- und Kompetenzschwerpunkten sein, zugleich aber auch ein „Teammitglied“, das mit seinen Fähigkeiten und Vorlieben das Team stärkt.In der reggianischen Bildungsphilosophie werden die Pädagog:innen als Spiegel der Kinder wahrgenommen. Diese werden als Persönlichkeiten voller Energie und vielfältiger Potenziale gesehen, die sie aber nur entfalten können, wenn sie über sichere emotionale Beziehungen verfügen. Dafür müssen sie sich einer stabilen Beziehung zu Erwachsenen sicher sein. Pädagog:innen sollten daher ebenso wie die Eltern bereit sein, (ihren) Kindern Unterstützung und einen Vorschuss an Vertrauen zu geben.
Ein wichtiges Prinzip der Reggio-Pädagogik ist dabei das Kultivieren und fantasievolle Gestalten von Gegensätzen, zum Beispiel bei der Raumgestaltung das Schaffen einer Atmosphäre der Geborgenheit, aber zugleich auch von Öffnungen zu anderen Räumen oder nach draußen. Auch in der Ausgestaltung der Pädagog:innenrolle sind Gegensätze bedeutungsvoll. So sollen die Pädagog:innen eine unverwechselbare Persönlichkeit mit Interessens- und Kompetenzschwerpunkten sein, zugleich aber auch ein „Teammitglied“, das mit seinen Fähigkeiten und Vorlieben das Team stärkt.In der reggianischen Bildungsphilosophie werden die Pädagog:innen als Spiegel der Kinder wahrgenommen. Diese werden als Persönlichkeiten voller Energie und vielfältiger Potenziale gesehen, die sie aber nur entfalten können, wenn sie über sichere emotionale Beziehungen verfügen. Dafür müssen sie sich einer stabilen Beziehung zu Erwachsenen sicher sein. Pädagog:innen sollten daher ebenso wie die Eltern bereit sein, (ihren) Kindern Unterstützung und einen Vorschuss an Vertrauen zu geben.
Kinder – Eltern – Pädagog:innen
Kinder, Eltern und Erzieher:innen bilden ein Wirkungsgefüge, in dem alle versuchen, für eine optimistische Grundstimmung und eine positive emotionale Beziehung untereinander zu sorgen. Bildung und Erziehung in der Kita sind daher eine Gemeinschaftsaufgabe. Die Reggio-Kennerin Sabine Lingenauber hat in diesem Kontext der Erzieher:in in Reggio Emilia drei wesentliche Rollen zugewiesen:
• (Weg-)Begleiter:in
• Forscher:in
• Zeug:in
Der Terminus der Begleiterin wird in der Reggio-Pädagogik gewählt, um sich von der traditionell anleitenden Erzieher:innenrolle abzugrenzen. Das Kind wird als der eigentliche Akteur und Konstrukteur seiner Entwicklung gesehen. „Dabei braucht es jedoch eine Wegbegleiterin, die es in seinen Selbst-Lernprozessen bestärkt.”1 Das Begleiten und Bestärken geschieht auf mehreren Handlungsfeldern:
Schaffen einer Atmosphäre des sozial-emotionalen Wohlbefindens: Die Reggio-Pädagogik nimmt hier Bezug auf das humanistische Menschenbild Carl Rogers', der Achtung, Wärme, Rücksichtnahme, einfühlendes Verstehen und Echtheit für den Umgang mit Menschen fordert. Durch einen zugewandten Umgang und durch die Gestaltung angenehmer „Lebensräume“ in der Einrichtung sollen Kinder die emotionale Dimension von Stabilität, Sicherheit, Vertrauen und Kontinuität erfahren.
Ganzheitliches, einfühlsam verstehendes Beobachten und Zuhören: Loris Malaguzzi, der erste und zugleich prägende Koordinator der Kitas in Reggio Emilia, sprach von „einem dritten Auge bzw. einem dritten Ohr“, das die Erwachsenen besitzen sollten, um Gesten, Mimik und Worte der Kinder feinfühlig wahrzunehmen und zu verstehen. Verstehen kann dabei immer nur Interpretation sein, in die auch die Subjektivität der Interpret:in eingeht.
Aktives, forschendes und Rückmeldung gebendes Begleiten der Kinder: Dieses forschende Begleiten, bei der die Erzieher:in die Rolle der Forscher:in einnimmt, umschließt das Aufnehmen, Verarbeiten, die (kollegiale) Interpretation der vielfältigen Äußerungen und Ausdrucksformen der Kinder und das Bereitstellen ganz unterschiedlicher Ressourcen für die Entwicklung von Kindern (z. B. in Gestalt von Zeit, speziellen Räumlichkeiten, Nähe und Zuwendung, Interesse, herausfordernden Fragen, Ideen oder Gegenständen).
Das pädagogische Planen wird Teil dieses Begleitprozesses, in dem die Erzieher:in in der Rolle der Zeug:in Beobachtungen zu den Aktivitäten, Äußerungen und vermuteten Entwicklungen der Kinder dokumentiert. Wenn sich die Pädagog:in fragt: „Was brauchen die Kinder in unserer Gruppe für ihre Entwicklung?“, wird sie immer situations- und personengebundene Antworten finden. Diese wirken auf die Kinder als Impulse, die ihre Aktivität stimulieren. Impulse können dabei verbaler und nonverbaler Natur sein: z. B. Gegenstände, die im Morgenkreis präsentiert werden und die die Kinder zum Erinnern, Fantasieren und konkreten Handeln herausfordern. Die Kinder können selbstbewusst nach dem Prinzip der freien Wahl mit Impulsen umgehen.
Die Pädagog:in begleitet die (Inter-)Aktionen der Kinder nicht distanziert, sie befindet sich vielmehr in einer ständigen intellektuellen, emotionalen, experimentellen und kreativen Auseinandersetzung mit dem, was Kinder anspricht und beschäftigt.
Ebenen pädagogischen Handelns
Bei diesen Formen des Begleitens spielen Wertkategorien des pädagogischen Handelns eine besondere Rolle. Diese Wertkategorien umfassen:
Vertrauen: Dieses Prinzip hat zwei Komponenten: zum einen den Aspekt des sogenannten Urvertrauens, den Erik Erikson als die entscheidende Grundlage für die frühkindliche Entwicklung beschrieben hat. Es ist die Quelle, aus der Kinder die Kraft für das Gewinnen neuer Erfahrungen beziehen.
Die andere Komponente ist das Zutrauen, wie es in den Kitas in Reggio Emilia gepflegt wird, wo schon die Dreijährigen aus Porzellangeschirr essen und mit dem Overheadprojektor Entdeckungen und Experimente mit Licht und Schatten machen können. Etwas den Kindern zutrauen heißt hier, ihnen Wertschätzung zu vermitteln, sie zugleich herauszufordern, den angemessenen Umgang (nicht nur) mit Dingen wahrzunehmen, zu üben und zu beachten.
Die andere Komponente ist das Zutrauen, wie es in den Kitas in Reggio Emilia gepflegt wird, wo schon die Dreijährigen aus Porzellangeschirr essen und mit dem Overheadprojektor Entdeckungen und Experimente mit Licht und Schatten machen können. Etwas den Kindern zutrauen heißt hier, ihnen Wertschätzung zu vermitteln, sie zugleich herauszufordern, den angemessenen Umgang (nicht nur) mit Dingen wahrzunehmen, zu üben und zu beachten.
Freiheit: Für Maria Montessori war „Freiheit der Wahl“ von Tätigkeit, Zeit, Raum und Partner zentraler Ausdruck für die Achtung des Kindes und wichtigste Grundlage für das Finden des eigenen inneren Bauplans, der eigenen Möglichkeiten und des eigenen Rhythmus. Und Loris Malaguzzi formulierte radikal: Ein Kind lernt nur dann erfolgreich, wenn es verliebt ist in den Gegenstand. Und Liebe oder Verliebtheit verlangt Freiheit.
Zeit: Zeit hat viel mit dem ganz Persönlichen zu tun. Der eigene Zeitrhythmus, das eigene Aktivitätstempo, das nur selbst spürbare Bedürfnis nach dem Wechsel von Anspannung und Entspannung – all das sind Dimensionen der Individualität, die uns aber durch die Gesellschaftlichkeit des menschlichen Lebens vielfach genommen werden.
Zeitdruck und Hektik als Stressfaktoren, die uns nicht mehr zu uns selber kommen lassen, halten oft genug auch Einzug in die Kita – meist, weil man als Pädagog:in vermeintlichen Erwartungen der Eltern, der Leitung, des Trägers oder auch ungefragt der Kinder entsprechen will. Bei der Gestaltung von Zeitstrukturen in den reggianischen Kindereinrichtungen wird darauf geachtet, dass einerseits der äußere Zeitrahmen, z. B. der Morgenkreis, eine verlässliche Orientierung gibt, andererseits Freiräume für flexible Zeitnutzung durch die Kinder bleiben.
Zeitdruck und Hektik als Stressfaktoren, die uns nicht mehr zu uns selber kommen lassen, halten oft genug auch Einzug in die Kita – meist, weil man als Pädagog:in vermeintlichen Erwartungen der Eltern, der Leitung, des Trägers oder auch ungefragt der Kinder entsprechen will. Bei der Gestaltung von Zeitstrukturen in den reggianischen Kindereinrichtungen wird darauf geachtet, dass einerseits der äußere Zeitrahmen, z. B. der Morgenkreis, eine verlässliche Orientierung gibt, andererseits Freiräume für flexible Zeitnutzung durch die Kinder bleiben.
Die Kolleg:in und das Team
Die Stellung der Kolleg:in im Gruppen- und Einrichtungsteam ist vom Spannungsbogen von Individualität und Teamkooperation geprägt. Jede Kolleg:in hat das Recht, ihre Kompetenz- und Interessenschwerpunkte in der täglichen pädagogischen Arbeit herauszustellen und auch bei ihrer Weiterqualifizierung zu nutzen. Die Kinder können nur davon profitieren, wenn ihre Erzieher:in mit Begeisterung und Freude mit ihnen arbeitet. Der pädagogische und emotionale Gewinn ist dann viel größer, als wenn die Kolleg:in vorgegebene Standards abarbeitet. Sie hat zugleich Verantwortung für eine Wohlbefinden sichernde Atmosphäre in der Gruppe, wozu immer auch ein stabiles, optimistisches Arbeitsklima im Team beiträgt.
Die Einbindung der Erzieher:in in das Team der Gruppe und der Einrichtung spiegelt andererseits die sozialen Beziehungsnetze wider, die schon die Kinder täglich wahrnehmen. In Reggio Emilia ist für jede Gruppe (neben den Ergänzungskräften) ein „Tandem“ von zwei Erzieher:innen verantwortlich, die über Jahre zusammenarbeiten, dabei eigene Formen der Kooperation, Arbeitsteilung und vor allem einer offenen, auch Kritik einschließenden Kommunikation entwickeln. Die Offenheit und Unverwechselbarkeit der Partner- und Teambeziehungen entlasten die Erzieher:in: Sie muss sich gegenüber den Kolleg:innen nicht beweisen, nicht ihre Kompetenz zur Schau stellen oder ihre Entscheidungen rechtfertigen. Daher ist sie frei, den Kindern zuzuhören, sie zu beobachten und ihr eigenes Verhalten einfühlsam auf das abzustimmen, was Kinder brauchen.
Was können wir also von Reggio lernen? Es sind für mich vor allem folgende Haltungen, die nur auf den ersten Blick widersprüchlich sind: Gelassenheit gegenüber den Erwartungen anderer und in den vielfältigen Krisen des Berufsalltags, Selbstbewusstsein in Bezug auf die eigene Kompetenz und dem, was einem bedeutungsvoll ist, und Freude an dem Zusammenwirken mit Kindern und Erwachsen
Quellen
1Lingenauber, S. (Hrsg.): Handlexikon zu Reggio-Pädagogik, S. 49. Bochum: Projekt-Verlag, 2004
Titelbild: © Anne Roguszczak
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Zur Person
Prof. Dr. Tassilo Knauf (1944 - 2023) war Professor für Elementarpädagogik und Primarstufen-Pädagogik. Er war zudem Mitbegründer des Vereins Dialog Reggio, der sich für die Verbreitung der Reggio-Pädagogik einsetzt. Tassilo hat Erziehungswissenschaften, Philosophie, Vor- und Frühgeschichte sowie Kunstgeschichte studiert und war viele Jahre lang als Referent für den Pädiko e.V. und die Pädiko Akademie im Bereich der Reggio-Pädagogik tätig.
Prof. Dr. Tassilo Knauf (1944 - 2023) war Professor für Elementarpädagogik und Primarstufen-Pädagogik. Er war zudem Mitbegründer des Vereins Dialog Reggio, der sich für die Verbreitung der Reggio-Pädagogik einsetzt. Tassilo hat Erziehungswissenschaften, Philosophie, Vor- und Frühgeschichte sowie Kunstgeschichte studiert und war viele Jahre lang als Referent für den Pädiko e.V. und die Pädiko Akademie im Bereich der Reggio-Pädagogik tätig.
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